Journalisten im Web: Urs Bühler, Lokalredaktor Neue Zürcher Zeitung

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Wie profitieren Lokaljournalisten vom Webdialog? Wo liegen die Geschichten, was bringt der Austausch mit den Lesern? Wieviel Selbstdarstellung der Schreibenden Zunft ist sinnvoll? Die Gesprächsnotiz mit Urs Bühler, Lokalredaktor «Zürich» bei der Neuen Zürcher Zeitung. 

Die Serie «Journalisten im Web» porträtiert Redaktorinnen und Redaktoren und ihren Alltag im Social Web im Rahmen einer qualitativen Studie von Bernet_PR und dem Institut für angewandte Medienwissenschaften IAM der ZHAW. Der Hashtag zur Studie: #jstudie14.

Seit zwölf Jahren recherchiert und schreibt Urs Bühler als Lokaljournalist für die NZZ. Dabei betreute er verschiedene Themendossiers und Kolumnen rund um Stadtleben, Kultur und Lebensart von Zürich. Bekannt sind beispielsweise seine Berichte aus dem Zürcher Nachtleben als «Nachtfalter». Obwohl der 47-jährige  Gadgetfreak überaus aufgeschlossen ist für Neues, bleibt er bezüglich Social Media-Einsatz in der journalistischen Arbeit wenig euphorisch.

Der Stimmungsbarometer des Volkes

Das Web habe die journalistische Arbeit erleichtert: Infos von Ämtern, Downloads und Suchmaschinen sparen viel Zeit. Und natürlich würden Lokaljournalisten Inputs und Stimmungen aus den sozialen Netzen verwerten. Einen Facebook-Account hat Bühler nur für die temporäre Beobachtung eines Protestevents eröffnet, welcher sich kommunikativ auf  diese Plattform beschränkte. «Das Web und insbesondere Kanäle wie Twitter oder Facebook geben schnelle erste Einblicke. Hier zeigt sich, wo es auf den Nägeln brennt. Das wird im Lokaljournalismus genutzt – teils auch offensiv durch Fragen an die Leserschaft via Twitter.» In seinen Themengebieten – immer mehr auch feuilletonistisch geprägt – sei er aber nicht auf die tempogetriebenen Kanäle angewiesen. Bühler: «Ich gehe immer noch von der womöglich konservativen Prämisse aus, dass mich wichtigen Themen und Informationen auch auf anderen, herkömmlichen Wegen erreichen. Die Plattformen tragen heute viel zur Verwechslung von Aufmerksamkeit und Relevanz bei.»

Das Meer aus Oberflächlichem mit Inseln der Relevanz

Eine interne Schulung führte Bühler in Social Media ein. Davon inspiriert, versuchte er sich selber mit Twitter. Wohl wurde es ihm nicht dabei. Zu umständlich schien die Auslese von Relevanz aus der Flut von Information und Banalität. Die Undurchsichtigkeit bei den Feed-Algorithmen der Kanäle, die Qualität der Aussagen und schliesslich auch Hacker-Angriffe auf das eigene Konto haben ihn abspenstig gemacht. Fehlt ihm heute nicht das Tempo von Social Media? «Für den Newsbereich hat Tempo wohl Relevanz. Ich bezweifle aber, dass sich eine Publikation wie die NZZ über diesen Speed definieren soll. Wir müssen dies nicht auf allen Ebenen mitmachen.» Der Austausch mit der Leserschaft via E-Mail sei seit jeher intensiv – manchmal gar endlos. Und ausreichend als Kanal zu den Lesenden. «Vielleicht bin ich hier ein unverbesserlicher Skeptiker. Das Bestürmen von Aussen via Twitter und Co. führt zur Verzettelung. Ich beschränke mich ganz bewusst auf den E-Mail Dialog.»

Die Reichweiten steigen – bei welchen Inhalten?

Urs Bühler glaubt, dass durch Social Media mehr NZZ-Artikel zitiert, verlinkt, geteilt werden – und damit die Reichweite des Angebots wächst. Vor allem regionale (Aufreger-) Themen – von Sechseläutenplatz bis Hafenkran – bringen Aufmerksamkeit. Dass die Messbarkeit und einfache Manipulations-Mechanismen im Online Erfolg bringen, findet Bühler gefährlich. Gewisse Titel lassen  Klickzahlen explodieren. Sex sells. Darum zweifelt er an der Sinnhaftigkeit von Hitlisten wie «Meisgelesene Artikel». Die NZZ dürfe sich ihren Inhalt nie hiervon diktieren lassen.

Selbstdarstellung versus journalistischer Auftrag

Die Selbstdarstellung und –vermarktung von Berufskollegen über Plattformen wie Twitter macht dem Journalisten und Kolumnisten Mühe. Dabei ist ihm ein gewisser Selbstbezug beim Verfassen seiner Artikel nicht fremd. Einige seiner Textsorten, wie die Nachtfalter-Kolumne, sind davon geprägt. Grundsätzlich gebe es bei der NZZ noch keine verschriftlichten Regeln zur Social Media Nutzung, der gesunde Menschenverstand soll lenken. Die Offenheit sei gross, man sei dazu angehalten, die Kanäle vielseitig zu nutzen. Sicher sei auch die Sensibilität bereits gewachsten, dass neue Mittel auch Herausforderungen bei der Abgrenzung zwischen Person und Auftrag mitbringen. Dass das Verlinken, Publizieren, Senden und die Kommentarpflege von einem Community Manager zentral geregelt wird, schätzt Bühler. Das diene der Einheitlichkeit der Publikation.

Steckbrief

Urs Bühler, 47, Redaktor «Zürich» Neue Zürcher Zeitung

  • journalistisch tätig seit 1998
  • Bei der Neuen Zürcher Zeitung in dieser Funktion seit 2002
  • Nutzt Facebook und Twitter nur passiv für Recherche-Zwecke

Weiterführend:

alle Portraits der Serie «Journalisten im Web»

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