Journalisten im Web: Andri Rostetter, ehem. Stv. Chefredaktor/Ressortleiter St. Galler Tagblatt

Social Media sind nicht Andri Rostetters wichtiges Arbeitsinstrument. Er brauche es neben vielen anderen und es ist nicht etwa täglich unverzichtbar. Im Lokaljournalismus ist der direkte Kontakt und das Telefon noch immer der beste Weg. Das Social Web hilft bei neuen Kontakten, für O-Töne aus der Politszene und für Informationen bei der Interview-Vorbereitung.
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Die Serie «Journalisten im Web» portraitiert Redaktorinnen und Redaktoren und ihren Alltag im Social Web im Rahmen einer qualitativen Studie von Bernet Relations und der ZHAW. Die Zusammenfassung und Auswertung der Studie erfolgte (bereits zum dritten Mal nach 2015 und 2017) im Herbst 2019. Der Hashtag zur Studie: #jstudie19. 

Das Telefon bleibt noch immer Andri Rostetters wichtigstes Arbeitsinstrument. «Das hängt auch mit meinem Einsatzgebiet zusammen. Im Lokaljournalismus ist der persönliche Kontakt noch immer der einfachste Weg. Social Media hilft bei neuen Kontakten. Vor allem dort wo ich keine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse habe.» Beispielsweise bei obskuren Gruppen wie Sekten, links- oder rechtsextremistische Gruppierungen oder aus dem Jihadismus. Diese wollten eigentlich nicht in die Öffentlichkeit, aber es gebe unvorsichtige Protagonisten, dank denen man sie auf Social Media dann doch finde.

Lokaljournalismus: kurze Distanzen, viel Dialog

Im Lokalen hat man einen erleichterten Zugang zu Quellen, weil die Distanzen klein sind und man die Leute kennt. Andererseits fehlen die Agenturen, welche Nachrichten bearbeiten. Social Media können diese Funktion im Lokalen teilweise übernehmen, indem sich Leute einmischen und kommentieren, wenn eine Organisation zum Beispiel eine Medienmitteilung publiziert. «So haben Social Media im Lokalen eine gewisse Filter-, Verstärker- und Kommentarfunktion», so Rostetter.

Mehr Debatten auf Facebook

Facebook nutzte er zu Beginn privat, war dann aber eine Weile weg, weil er sich darüber ärgerte, dass private Dinge auf seiner Wall publiziert wurden. Irgendwann eröffnete er dann wieder ein Profil, weil er bei Recherchen merkte: Ich komme nicht an gewisse Inhalte, wenn ich nicht Mitglied bin. Zudem fänden inzwischen mehr Debatten auf Facebook statt. «Diese Plattform hat nach meinem Gefühl an Wichtigkeit zugenommen im Journalismus.» Twitter nutzte er schon immer als Katalysator für Angebote seiner Zeitung, als Verbreitungskanal für eigene Geschichten.

Vor allem Politiker

Wenn der Wahlkampf anzieht, findet Rostetter vermehrt kernige Aussagen von Politikern auf Social Media. Auch werden dort Verbindungen ersichtlich: Wer diskutiert mit wem, wer gibt wem Antwort auf Twitter, wer klinkt sich in welche Debatte ein? Zudem stösst er hier auf zusätzlichen Stoff über Personen. «Wenn ich ein Hintergrund-Porträt schreibe, schaue ich vorher, was auf Social Media über diese Person gesagt wurde oder was diese Person selber gepostet hat.»

Immer als Journalist unterwegs

Für Rostetter lässt sich die berufliche schlecht von der privaten Person trennen. «Wenn ich eine Geschichte veröffentliche oder einen Kommentar, dann bin ich für jene, die mich nicht privat kennen, der Journalist vom St. Galler Tagblatt. Deshalb verstehe ich mich auf Social Media auch so. Ich deklariere das nicht, aber ich verhalte mich so. So äussere ich mich vor allem zu Themen, bei denen ich das auch als Journalist täte. Ich verbreite auf meinen Facebook- und Twitter-Kanal auch nichts Privates.»

Vom Tagblatt sei explizit erwünscht, dass man als Redaktor auf Social-Media-Kanälen präsent sei, für die Verbreitung von Artikeln sorge und sich auch zu Debatten äussere. Da gäbe es allerdings gewisse Einschränkungen: Entweder kennt man sich im Thema besonders gut aus, oder man wird direkt angesprochen oder angegriffen. «Bei Letzterem schalten wir uns als Chefredaktion ein und entscheiden, wer darauf reagiert: die angegriffene Person selbst, der Chefredaktor, oder lassen wir es sein.»

Aktuelles und Kurioses

Was auf Social Media sicher funktioniere, seien Primeure. Das liege in der Natur der Dinge. «Das Problematische daran ist, dass das nicht unbedingt die treuen Leser sind. Die bringen keine Abos, sondern generieren einfach kurzfristig Traffic.» Finanziell bringt das also sehr wenig. Auf der anderen Seite funktionieren in der Erfahrung von Rostetter kleine Lokalgeschichten auf Social Media nicht. «Die klassische Berichterstattung, der ganz normale Feld-, Wald- und Wiesen-Lokaljournalismus ohne Spektakel muss man nicht über Social Media verbreiten.»

Social Media ersetzen die Medien nicht

Mittlerweile nutzen alle Unternehmen, Politik oder NPO’s Facebook- und Twitter für ihre News. Das Problem sei, dass sie damit nur ihre Blase erreichen, jene Leute, die ihnen sowieso folgen. Für ein grösseres Publikum müssten sie nach wie vor entweder Werbung platzieren, auch auf Social Media, oder mit Journalisten zusammenarbeiten. «Es braucht nach wie vor Journalisten, die Information sammeln, gruppieren, einordnen und an die Leute bringen. Es braucht den Journalismus als Verstärker, als Katalysator und als Filter.»

Alter: 40, Journalist seit 2001, seit 2014 (Ressortleiter), Stv. CR (2016)
Funktion: ehem. Stv. Chefredaktor und Ressortleiter Ostschweiz beim St. Galler Tagblatt, zukünftig NZZ
Auf Twitter seit: 2012, auf Facebook ähnlich lang, passiv bei Linkedin, Xing, Instagram

Weiterführend:
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