Glauben, meinen, wissen – und alles dazwischen

Content wird griffig durch Klarheit und Zuspitzung. In einer Zeit wachsender Ungewissheit und Komplexität werden aber genau diese Stilmittel immer heikler. Zeit für ein Umdenken auch in der Kommunikation.
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In den letzten Jahren haben viele von uns ein altmodisches Gefühl wiederentdeckt: die Demut. Was wir zu wissen glaubten, entpuppt sich als falsch. Meinungen werden als Gewissheiten verkauft. Wackelige Glaubenssätze bieten vielen Mitmenschen Halt. Wir müssen einsehen: Was die westlichen Gesellschaften einigermassen unter Kontrolle zu haben glaubten, stürzt jetzt ein. Klimakrise; Pandemie; ein naher Krieg; die Normalisierung menschenverachtender Haltungen – all dies sind konkrete und komplexe Bedrohungen.

Wie gehen wir in der Kommunikation und in den Redaktionen mit dieser Ungewissheit und Komplexität um? Wir haben gelernt, dass kommunizierte Inhalte durch Zuspitzung und Klarheit griffig werden. Aber der Zuspitzung widersetzt sich die wachsende Unschärfe im Weltgeschehen, und Klarheit setzt Eindeutigkeit voraus, die oft nicht vorhanden ist. Einige Überlegungen, die gerne von den Leser*innen in den Kommentaren ergänzt werden dürfen:

  • Die Faktenlage: Wenn es um Themen geht, mit denen sich die Forschung befasst, können wir uns am wissenschaftlichen Konsens orientieren. Gelangt eine grosse Anzahl qualitativ hochstehender Studien zur gleichen Erkenntnis? Wenn dies der Fall ist, können wir einen Fakt guten Gewissens als solchen bezeichnen. Gleichzeitig ist es wichtig für die Glaubwürdigkeit, zu erwähnen, welche Faktoren noch unklar sind und weiter erforscht werden müssen. (Hörtipp: Folge des Podcasts «Weiter Wissen» von Reatch)
  • Die Gesellschaft: Kommen die oft widersprüchlichen Bedürfnisse, Ängste und Prioritäten verschiedenster Menschen ins Spiel, dann sind eindeutige Aussagen kaum mehr möglich. Viele vermeintlich positive Entwicklungen offenbaren irgendwann ihre hässlichen Seiten. Dies führt zu einer Unsicherheit darüber, welche Medien und Akteure vertrauenswürdig sind. Oftmals sind die Menschen durch ihr nahes Umfeld (ihre «Bubble») beeinflusst. Unsere Aufgabe: Diese Bubbles durchbrechen, unterschiedliche Aspekte einordnen, Quellen und Motive transparent machen.
  • Die Grenzen der Meinung: Die Meinungsfreiheit ist eine wichtige Errungenschaft, hat aber Grenzen. Viele rassistische Äusserungen und Handlungen sind Straftaten. Immer wenn die Meinungen einer Personengruppe bewirken, dass eine andere zu Schaden kommt, ist es reichlich unreflektiert, eine blosse «Gegenüberstellung unterschiedlicher Meinungen» zu inszenieren – eine Falle, in die leider gewisse Medien regelmässig tappen.
  • Die Kunst des Schweigens: Manchmal, besonders wenn man sich in einer Thematik nicht auskennt, ist es einfach klüger und rücksichtsvoller, sich zu einem Thema (vorläufig) nicht zu äussern – oder, wie Dominik Allemann vor ein paar Wochen hier im Bernetblog schrieb: Manchmal wäre es besser, nicht zu kommunizieren.

Daher: Lasst uns differenziertere Formulierungen verwenden. Lasst uns mehr Recherche-Aufwand betreiben. Lasst uns Fakten Fakten nennen. Lasst uns Wissenslücken aufzeigen. Lasst uns dem Hass keine Bühne bieten. Lasst uns bewusst auf Zuspitzung verzichten. Und lasst uns des Öfteren einfach die Klappe halten.

 

Foto: Donny Jiang auf Unsplash

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