R.I.P. LinkedIn

Selbstdarstellung, Clickbaiting, Tränendrüsen: Das einst seriöse Business-Netzwerk LinkedIn fühlt sich heute an wie eine Mischung aus Kettenbrief und Glückspost. Ein Abgesang.
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Achtung: Es folgt ein Rant – eine subjektive Schimpf-Tirade und, wie es sich gehört, leicht überspitzt.

Was bei Facebook schon vor Jahren den Untergang eingeläutet hat und woran wir uns bei Instagram von Anfang an gewöhnt haben, ist nun auch mit LinkedIn passiert: Die einstige «Insel der Seriosität» ist zugespamt, die Timeline eine einzige Müllhalde. Das Abfallprodukt: «persönliche» Geschichten von berührend-traurig bis mutig-inspirierend. Dazu kommt eine Community, die  mindestens so sehr auf Lob und Aufmerksamkeit aus ist wie die oft geschmähten Instagram-Influencer – und sich mit Reaktionen und Teilen solcher Posts gegenseitig feiert und in ihrer Bubble selbst zelebriert.

LinkedIn

What the hell hat das in meinem Feed zu suchen? Das dazugehörige Foto aus dem Spital erspare ich euch… Der Post hat übrigens fast 900 Gefällt-mir und 95 Kommentare. (Quelle: LinkedIn)

Steiler Aufstieg – tiefer Fall?

Was uns am Netzwerk anfangs sympathisch war: Die Leute pflegten eifrig ihre CVs, bestätigten gegenseitig ihre Fähigkeiten und gratulierten sich zu Erfolgen oder geteiltem Wissen. Die Positionierung als «Anti-Facebook» und Expertennetzwerk bescherte dem Business-Netzwerk einen exponentiellen Erfolg – mehr als 700 Millionen User zählt die Plattform mittlerweile.

Zumindest qualitativ ist vorläufig der Abstieg eingeläutet. Wer genau hinschaut, sieht, dass kaum eine dieser Sentimental-Storys echt oder originär ist. Viele sind gecopypastet und höchstens auf Detailebene individualisiert. Besonders ätzend: Posts, in denen jeder Satz ein einzelner Abschnitt ist (hat übrigens auch Buzzfeed bemerkt).

(Quelle: Buzzfeed)

Das Internet nervt an jeder Ecke

LinkedIn verkommt also zum nächsten Nerv-Faktor in den Weiten des Internets. Und ist damit ein weiteres Beispiel dafür, was im Internet alles kaputt ist: der toxische Mix aus gelangweilten Menschen und solchen, die von dieser Langeweile profitieren wollen. Alles dreht sich um Aufmerksamkeit, Klicks und Zeitvertrieb. Dies führt dazu, dass wir eine maximale Aufmerksamkeitsspanne von sieben Sekunden haben und uns jedes einminütige Erklärvideo zu lang erscheint. Websites verkommen gleichzeitig zu Friedhöfen, zugepflastert mit Google-Display-Ads, die uns ans nächtliche AliExpress-Shopping erinnern.

Plädoyer für Qualität und fürs Persönliche

LinkedIn wird wohl bald ein ähnliches Schicksal blühen wie den anderen grossen Plattformen. Und macht klar: Das Internet gönnt einem von sich aus keine Beständigkeit und schon gar keine Qualität. Selber können wir bedingt Gegensteuer geben: Indem wir auf die Qualität unserer eigenen Inhalte achten und unser Netzwerk seriös pflegen – am besten immer noch in Kombination mit dem persönlichen Kontakt: ein Telefonanruf, ein Mail oder – bald wieder möglich – ein Treffen auf einen Kaffee. Ohne Störelemente und mit viel weniger Bullshit.

Schreiben wir unsere nächsten Business-Kontakte also wieder klassisch an: handgeschrieben und per Post verschickt. Ich jedenfalls würde mich darüber freuen.

Foto: JF Martin auf Unsplash


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Beiträge

  • Liebes Berner Relations AG-Team

    Merci für diesen Blog-Beitrag.
    Ihr habt mir aus der Seele „geschrieben“.
    LinkedIn ist aus meiner Sicht das Facebook der „Business-Leute“ geworden…..
    Wirklich interessante Kontakte eine Seltenheit, viel „Selbstbeweihräucherung“ und eine Überhäufung an Eigenwerbung…

    • Ich mache da – z. T. zumindest -, ganz andere Erfahrungen.
      Die Content-Qualität in den Feeds und Storys hängt zu einem grossen Teil auch vom eigenen Netzwerk und von den eigenen Beiträgen, vom eigenen Interagieren mit Beiträgen aus der Community ab.
      In meinem Umfeld und auch für mich persönlich ist LinkedIn nach wie vor ein Social-Media-Kanal, der klar Mehrwert zu liefern vermag.

  • Geschätzte Damen und Herren Kommunikation-Experten und auch -Kritiker

    Ich muss Ihnen hier nun einen „Kranz“ winden. LinkedIn ist aktuell eine Mischung aus FB, Instagram, TikTok und weiteres. Einst ein so tolles Tool für Business und auch geschäftlicher Profilierung und Darstellung, verkommt das Tool mehr und mehr zu einem „Gemischtwarenladen“ voller boulvardesken Selbstdarstellern…

    LinkedIn ist meines Erachtens gut beraten, wenn sie eine Content-Policy erstellen und einen redaktionellen Filter einbauen.

  • Uff, einmal tief durchatmen.

    Super, dass sich mal jemand traut, das zu sagen. Ich bin schon lange selbstständig und frage mich, wie ich es in über 25 Jahren ohne LinkedIn und Facebook geschafft habe.

    Unsere Kunden haben den Weg zu uns bis jetzt auch ohne LinkedIn gefunden.

    Natürlich musste ich auch auf Linkedin. Das haben alle gesagt und gehypt.
    Ich habe aber gemerkt, dass es mich auch nur von meiner Arbeit ablenkt.

    Durch diesen Beitrag bin ich froh, dass ich mit diesem „geheimen und bösen“ Gedanken nicht mehr alleine bin. Mein Tag ist gerettet. Danke für das Statement.