60. Social Media Gipfel: Wie Algorithmen unsere Sicht auf die Welt prägen

Algorithmen sind auf Social Media und bei Online-Medien nicht mehr wegzudenken. Vom gefilterten Newsfeed bis zur personalisierten Zeitung finden sie breite Anwendung. Am heutigen Social Media Gipfel – live im Terrasse Zürich und online auf Facebook – gaben eine Advocacy-Vertreterin und ein Data Scientist spannende Einblicke in Potenzial und Gefahren.
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Kein Mensch kann mehr die schiere Datenmenge und die Reichweite von Netzwerken bewältigen. Gleichzeitig buhlen Kommunikatoren, Medienschaffende und Werber um Aufmerksamkeit – Zielgruppenrelevanz, Effizienz, Effektivität sind ein «must». Was wird in einem Facebook-Newsfeed angezeigt? Wie findet eine Journalistin schnell relevante Artikel oder Bilder zu ihrer Recherche? Aber auch: Welche Zeitung wird mir künftig als Medienkonsument angezeigt? Algorithmen sind in der Medienwelt nicht mehr wegzudenken. Ihr Potenzial ist enorm, wirft aber auch ethische und demokratiepolitische Fragen auf.

AlgorithmWatch Schweiz: der kritische technologieaffine Blick

Dr. Anna Mätzener ist Managing Director von AlgorithmWatch Schweiz. Die Forschungs- und Advocacy-Organisation exisitiert seit 2020 in der Schweiz. AlgorithmWatch untersuchte im Projekt »Undress or Fail» anhand von Influencer-Profilen, welchen Impact nackte Haut auf die Sichtbarkeit von Content im User-Feed hat. Das Resultat: Nackte Haut erhöht die Wahrscheinlichkeit von Content, bei weiblichen Usern im Newsfeed zu landen stark, bleibt aber nicht der ausschliessliche Faktor. Solche Effekte sind ethisch bedenklich, da sie gesellschaftliche Wahrnehmung gestalten. Algorithmen können auch praktisches Diskriminierungspotenzial aufweisen, z.B. welche Zahlungsmöglichkeiten User online (nicht) erhalten oder im berüchtigten chinesischen Social Credit System.

Als Forscherin und Advocacy-Vertreterin setzt sich Anna dafür ein, dass Algorithmen, als «grossartige Technologie mit vielen guten Beispielen» allen zugute kommen. Die grosse Herausforderung liegt darin, dass Algorithmen als Geschäftsgeheimnisse behandelt werden. Ihr Fazit ist:

  • Bewusstsein für Effekte schärfen: Algorithmen bestimmen gesellschaftliche Wahrnehmung auch in demokratiepolitisch relevanten Feldern.
  • Mehr freie Forschung: Aktuell bleiben Algorithmen häufig eine nicht rekonsturierbare Blackbox. Die Erforschung muss möglich sein, ohne Repressalien durch Technologie-Konzerne oder andere Anbieter.
  • Menschen machen Algorithmen: Sie bringen ihre eigenen Wertvorstellungen, Einstellungen und Wahrnehmungen mit rein. Hier braucht es mehr Sensibilität für zugrundeliegende Biases auf Programmierer- und Nutzerseite.

 

TX Group: effizientere Recherche und bessere Reichweite

Für Medienschaffende und Verlage sind  Tempo und Relevanz das A und O. Dr. Tim Nonner ist Chief Data Scientist bei der TX Group (Tagesanzeiger, 20Min, Tutti, Ricardo etc.). Die TX Group führt in Zusammenarbeit mit Hochschulen mehrere Projekte durch, um Algorithmen für Redaktion oder Verlagswesen zu nutzen. Algorithmen unterstützen Medienschaffende bei der Recherche, beispielsweise in der Themen- und Personensuche bisheriger Berichterstattung oder mit Vorschlägen aus der Bilddatenbank.  Zudem unterstützen SEO-Optimierungsvorschläge die kreative Titelsetzung der Journalisten.

Algorithmen sind auch markttechnisch für Verlage hochinteressant, bergen aber Sprengstoff, was den Meinungsbildungsprozess in einer Demokratie anbelangt. So scheint die automatisch personalisierte Zeitung für Leserinnen und Leser hochqualitativer Abo-Medientitel noch nicht Realität. Aber bei anderen Gratis-Massenmedien wird die Entwicklung vorangetrieben.

Tatsache ist, dass Algorithmen aus der Medienwelt nicht mehr wegzudenken sind. Für Tim sind folgende Erkenntnisse relevant:

  • Taming the long tail: Algorithmen sind alltagsrelevante Hilfeleistungen. Sie strukturieren und filtern den »Rattenschwanz» an Informationen, beispielsweise bei  Suchmaschinen-Resultaten.
  • Humans in the loop: Die TX Group hat anhand der 12-App untersucht, wer die bessere Click-Rate bestimmen kann – Journalisten oder Algorithmus. Der Algorithmus hat in der 1. Runde gesiegt. Die Verbindung von Algorithmus und Schwarmintelligenz der Medienschaffenden erzielte jedoch in einer 2. Runde ein besseres Resultat. Algorithmen ersetzen bei wichtigen Schritten das Kuratieren und die Qualitätskontrolle nicht.
  • UX is important: Tools auf Algorithmus-Basis funktionieren im Alltag nur, wenn die User-Experience in Design und Handhabung optimiert ist. Eine alltägliche Herausforderung bei der Entwicklung von Pilotprojekten aus der «Tech-Ecke».

Sponsor: Ein spezieller Dank für das Sponsoring geht an Ticketpark für Kafi, Gipfeli und Technik sowie für das Organisieren des Ticketings (Ticketing Guide 2021 mit 10 Tipps für nachhaltige Events)

 

Bilder des 60. Gipfels von Boris Baldinger:
#smgzh60: Algorithmen

Video des 60. Gipfels von kameramann.ch:

Jetzt im Kalender reservieren: der nächste Social Media Gipfel findet am 3. November 2021 statt. Wir freuen uns!

Weiterführend:
Alle Beiträge im bernet.blog zum Social Media Gipfel

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