Online-Kommunikation 2022: Barrierefrei für alle?

Visuelle, auditive, motorische oder kognitive Einschränkungen – nach wie vor können etwa 20 % der schweizerischen Bevölkerung das Internet nicht barrierefrei nutzen. Die Expertin Dr. Sarah Ebling ordnet ein, wo dringender Aufholbedarf herrscht und wie Unternehmen ihre Angebote unmittelbar optimieren können.
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  • Wie barrierefrei kommunizieren Schweizer Unternehmen online?

Die Stiftung «Zugang für alle» überprüft den Webauftritt von Schweizer Unternehmen in regelmässigen Abständen. Die aktuelle Studie hat untersucht, wie barrierefrei Onlineshops sind. Das ernüchternde Ergebnis: 20 % der Schweizer Bevölkerung werden vom Online-Shopping ausgeschlossen. Auch bei anderen Online-Angeboten haben Unternehmen in der Schweiz noch erheblichen Verbesserungsbedarf.

  • Wo sehen Sie diesen in der Praxis am meisten?

Menschen mit Sehbeeinträchtigungen, ca. 4 % der Bevölkerung, sind auf die Aufbereitung von Webinhalten in einer bestimmten Form angewiesen. Wird diese eingehalten, kann ein Screen-Reader – eine Software – ihnen die Inhalte vorlesen. Häufig ist diese Aufbereitung nicht vorhanden, obwohl sie einfach zu realisieren wäre. Die Bedürfnisse weiterer Zielgruppen, beispielsweise von Menschen mit Hörbeeinträchtigungen, kognitiven Beeinträchtigungen oder älteren Menschen, gehen oft ganz vergessen.

  • Was können Unternehmen unmittelbar tun, um ihre Online-Kommunikation zu optimieren?

Es bringt schon viel, eine Webseite mit einer klaren Struktur zu versehen. Also zum Beispiel Überschriften nicht nur optisch, sondern auch strukturell auszuzeichnen und die Hierarchie der Überschriften einzuhalten. Auch der Einsatz von Navigationshilfen wie Pfaden oder einem Index ist empfehlenswert.

  • Welche wichtigsten Veränderungen ergaben sich in den letzten Jahren?

Der Fokus wurde auf Zielgruppen wie Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen oder ältere Personen erweitert. Es wird immer stärker hinterfragt, mit welchen Massnahmen Online-Information und -Kommunikation für alle Menschen mit Beeinträchtigung möglichst zugänglich gemacht werden kann.

  • Wie barrierefrei ist Social Media?

Hier tut sich einiges. Die grossen Konzerne, die hinter den Social-Media-Plattformen stehen, treiben die Entwicklung voran. Beispielsweise mit automatischen Vorschlägen für Bild-Alternativtexte. Diese geben sehbeeinträchtigten Social-Media-Nutzer:innen Informationen darüber, was auf einem Bild zu sehen ist, indem sie via Screen Reader vorgelesen werden.

  • Welche technologischen Entwicklungen gibt es?

In meinen Gruppen an der Universität Zürich und der ZHAW arbeiten wir an automatischer Übersetzung in und von Gebärdensprache oder auch an automatischer Textvereinfachung (Leichte Sprache). Vor allem Ersteres wird aber noch nicht in naher Zukunft vollautomatisch funktionieren; dafür ist die Aufgabe zu komplex.

 

Dr. Sarah EblingZur Person:
Dr . Sarah Ebling ist Senior Researcher an der Universität Zürich, wo sie die Gruppe «Language Technology for Accessibility» leitet, und Leiterin der Professur Barrierefreie Kommunikation und Dozentin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Verarbeitung natürlicher Sprache für Menschen mit Behinderungen und sonderpädagogischem Förderbedarf, insbesondere auf Gebärdensprachtechnologie und automatische Textvereinfachung. Sie ist an verschiedenen internationalen (EU H2020) und nationalen (Schweizerischer Nationalfonds Sinergia) Projekten beteiligt und Projektleiterin des gross angelegten Schweizer Innovationsprojekts «Inclusive Information and Communication Technologies – IICT».

 

Weiterführend:

Bilder: © Dr. Sarah Ebling und Cliff Booth auf Pexels

 

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Beiträge

  • Liebe Frau Heinemann, vielen Dank für Ihren Beitrag. Eine Frage hätte ich: Was ist mit der Verwendung von Sonderzeichen in Bezug auf die Barrierefreiheit, z.B. Gender-Doppelpunkt oder Gender-Stern? Wie beurteilt die Expertin von der Uni Zürich dies? Danke und beste Grüsse, Simone Busch

    • Liebe Frau Busch,
      haben Sie vielen Dank für Ihre wichtige Frage. Es gibt hier mehrere Lösungsansätze, aber der Gender-Doppelpunkt ist v.a. für einen Screen-Reader sicher eine der besseren Optionen, da er akustisch durch eine kleine Pause umgesetzt wird.
      Mit herzlichen Grüssen,
      Sarah Ebling